the dark goes much further than how it appears

2023, Mixed-Media-Videoinstallation, 3 Bildschirme, 3 Videos (Screen 1: 15‘00“, Screen 2: 15‘00“, Screen 3: 15‘00“), Farbe, Ton, Rundumstrahler, Objekte

Ein vergangenes Meer, an das es überhaupt keine Erinnerung gibt. Auf seinem sauerstoffarmen Grund eine faulende Schicht, aus feinen Sedimenten erodierter Gebirge, aus Pflanzenresten und toten Tieren. Die Schicht wird überdeckt von der nächsten und den darauffolgenden. Hitze und Druck verdichten mit der Zeit. Das Meer verschwindet, übrig bleiben mächtige Mengen von Ablagerungen auch Kalk und Salz. 
Heben und Sinken der Platten, welche diese Schichten tragen. Ausspülungen, Verwerfungen, Auf- und Abdecken der Schichten.

Am Rande einer Senke, an ihren Bruchkanten tritt Schiefer zu Tage. Vielleicht wirft jemand ein Stück vom Schiefer ins Feuer, etwas schmilzt daraufhin – Kupfer. Es lässt sich bearbeiten. Werkzeuge lassen sich daraus formen. Feuer und Schläge – Hitze und Druck, Zusätze und Vermischungen machen das Kupfer besser. Neue Dinge können jetzt viel leichter entstehen um so mehr wird das Kupfer gebraucht. Es wird als Rohstoff gehandelt.

Die Schicht, der einstige Grund des vergangenen Meeres, lässt sich von vielen und immer besser erkennen. Schon wird nach ihr gegraben. Aus immer tieferen Tiefen wird das Untere herausgeholt. Was darüber liegt türmt sich neben den Löchern. So zumindest im Mansfeld. Erst entstanden Linien kleiner Hügel, später dann große flache Halden direkt bei den immer tiefer werdenden Schächten. Untertage hauten Männer und oft auch Kinder liegend den Kupferschiefer heraus. Übertage sortierten auch Frauen die Steine nochmals nach ihrem Gehalt an Kupfer. Am Ende der Zeit ließen Förderbänder taubes und weniger gehaltvolles Gestein aus Untertage zu kegelförmigen Abraumhügeln in den Himmel wachsen, viel höher als die Kirchtürme im Land und höher auch als die Pyramiden in Afrika. In der Hochzeit des industrialisierten Bergbaus im Mansfeld bis an sein Ende um 1990 wurde der Kupferschiefer zu zentralen Hütten gebracht. Aus deren Öfen floss die Schmelze des Schiefers in Tiegel. Die verflüssigten Elemente trennten sich nach Gewicht. Alles Schwere sank nach unten. Oben kochte die Schlacke dazwischen flüssiges Kupfer. Es wurde abgeschöpft für seine Veredelung und Weiterverarbeitung.

Die zunächst noch unbrauchbare Schlacke wurde heißglühend wie Magma in Loren abgefahren und noch flüssig auf die Halde bei der Helbraer Hütte abgekippt. Diese schiebt sich wie eine riesige Zunge aus tiefschwarzer Masse von der Hochebene Richtung Talgrund. Ihre Abhänge bestehen aus erstarrten dunklen Bächen. Ihre Ränder sind gesäumt von Brocken und Klumpen. Deren Flächen von erkalteten Poren gespickt und von erstarten Adern durchfurcht sind. Auf der Haldenebene liegen von schwerem Gerät zu glasigen Splittern zermalmte Mengen von Schlacke. Kieselgroß, undurchsichtig schwarz, scharfkantig, vieleckig. Ihre dem Licht zugeneigten Seiten glitzern und flimmern, wie tausende von Sternen, für Nichts. Für deine Augen. Finger ertasten die Glätte des Schlackesteins. Eine Hand fühlt seine scharfen Grate und wirft ihn zurück in die Menge. Klirrt oder knistert es beim Aufprall?

Ein Boot zerschneidet die Wellen, vor seinem Bug die liparischen Inseln. Die erste Insel fliegt vorbei, dann die zweite. Das Boot legt auf Stromboli an, ein Vulkankegel im Meer. Füße im Spülsaum aus schwarzem Sand, hoch oben am linken Rand der Caldera, wie ein Fähnchen, gelber Rauch. In der Abenddämmerung Eruptionen – goldbronzene Gischt, Fontänen heller Funken. Schwarze schroffe Hänge mit magerer Vegetation, erstarrte Magmaströme verlaufen von der Kegelspitze steil hinunter zum Meer. Ausgelegt in Körben werden pechschwarze, scharfkantige Steine zu Kauf angeboten. Mit weißem Kreidestift je nach Größe 1,– oder 2,– € gekennzeichnet. Obsidian – vulkanisches Glas, gebrochen, emporgekommen aus Magma vom Grund des Strombolis. 
Noch bevor Schiffe Getreide von Ägypten nach Rom transportierten, war Obsidian Handelsgut im Mittelmeerraum, Rohstoff, um Werkzeuge zu machen – scharfe Klingen und Spitzen.

In der Dunkelheit liegt ein beinahe schwarzer Boden aus Schlackebruch. Er bewegt sich langsam etwas schlingernd oder sich ein wenig drehend. Kommt mir seine Tiefe entgegen oder folge ich ihr? Fahles Licht aus meiner Richtung erhellt die ihm zugeneigten Seiten der Schlackesplitter. Sie glitzern und flimmern, wie Sterne, für Nichts. Für meine Augen. Grillen zirpen in der Dunkelheit. Irgendetwas bricht und grollt. Vielleicht höre ich ein schweres sich Verschieben und Setzen der Haldenmasse. Der Blick der Kamera führt mich über ihre Oberfläche hinweg. Weitere Anhäufungen von Schlacke hinzu kommen einzelne Ziegel und Schamotte sowie weitere menschengemachte Spuren und Artefakte – Fahrzeugreifen, Bleche, Formsteine.

Das Brechen und Grollen bleibt. In einem Raum, steht ein Stein – ein Schlackeklumpen. Die Kamera dreht sich und mich um den Stein. Der Raum dreht sich. An seiner Decke Trapezbleche, seine Seiten aus verzinkten Streben grauweiß beplankt. Heruntergelassene Rolltore, ein Hubwagen, Kartonstapel, Holzpalletten und ein Packtisch – eine Abfertigungshalle für Waren und Rohstoffe. In ihrer Mitte der Schlackeklumpen, größer als ein Mensch. Seine Flächen glitzern und pulsieren. Knistern und Tropfen ist zu hören, ganz entfernt vielleicht auch ein Bellen. Kein Mensch. Keine Arbeiter:innen, keine Security, kein Wachhund. Es wird nichts verpackt, verladen, gewogen, gelabelt oder zugeordnet. Es wird nichts verarbeitet und nichts abgeholt und nichts gebracht. Zeit ohne Menschen. 
Zeit in der der Stein nicht vermessen, bewertet oder versandt werden kann. Also genug Zeit, um sich die glatten Flächen, schroffen Furchen, Vorsprünge und Grate des Steins einzuprägen. Er dreht sich beständig. Der Blick dreht sich beständig um ihn. Vielfaches Funkeln –golden und silbern wie wertvolles Geschmeide oder ultraviolett und metallisch blau, wie das Spektrum eines Ölfilms. Seine Flächen scheinen zu gerinnen, sie werden flüssig. Glasig und quecksilbrige Reflexionen. Ein Vibrieren, sogar ein leichtes Pulsieren. Der Schlackeklumpen lebt. Sein Herz schlägt aus irgendeiner Tiefe. Auch ein Pochen ist zu hören. Der Stein verläuft mit der Zeit.

Daniel Hermann

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