monoscape

2017, 2,5K-Video, 16‘41“, Farbe, Ton​

Viktor Brims Kunst besteht darin zu schauen. Was profan und alltäglich klingt, ist bei genauer Betrachtung kompliziert, da jedem Sehen per se eine Haltung und Position innewohnt, ein bestimmtes Verhältnis zum Gegenstand der Betrachtung. Brims Gabe besteht darin, die Landschaften, Objekte und Menschen, die er in den Blick nimmt, weder zu überhöhen, noch abzuwerten, weder zu mystifizieren, noch analytisch zu verkleinern. Durch die exakte Bemessung der Dauer seines Blicks und die präzise Setzung des Bildausschnitts gelingt es ihm scheinbar mühelos, dass sich das Betrachtete wie von selbst erzählt. Und das sowohl auf den Ebenen der Vergangenheit – durch eingeschriebene Spuren – der Gegenwart – durch die dokumentierte Präsenz – und auch der Zukunft – durch die nahe gelegte Extrapolation der immer nur in Fragmenten sichtbaren Ereignisse seitens der Betrachter.

Brims Filme beschreiben vornehmlich Orte und erzählen durch sie hindurch und mit ihnen in ihrer Funktion als Träger von Geschichte(n). Dabei wählt er Landschaften, die in der aktuellen Gegenwart der Aufnahme menschenleer sind, die aber grundsätzlich von Menschen gemacht, erdacht oder geprägt sind. Brim lässt Menschen nicht direkt zu Wort kommen, lässt sie nicht ihre Einschätzungen, Ideen und Visionen in Worten ausdrücken, sondern zeigt all das anhand von bereits realisierten Manifestationen, von Hinterlassenschaften in der Welt. Die gekerbte Landschaft, die der Mensch sich zu eigen gemacht und seinen Intentionen entsprechend geformt hat, dient so als Spiegel, Archiv und Zeuge.

Die Videoarbeit “Monoscape” geht von einem relativ eng umrissenen, unspektakulären Areal aus: einem kleinen Hafengebiet im Kölner Norden. Brim fokussiert diesen monofunktionalen Raum, an dem verschiedene Verkehrs- und Warenströme aufeinander treffen und synchronisiert werden müssen, da ihn die Komplexität und Dynamik des dahinter stehenden logistischen Systems fasziniert. Er zeigt uns eine Szenerie, die auf eine weltumspannende Zeitlichkeit ausgelegt ist, die lokalen Gegebenheiten ignoriert und niemals ruht: Eine dynamische Echtzeitskulptur, die mit ihren Adern unmittelbar an das Netz weltweit zirkulierender Waren angeschlossen ist und mit ihren Armen bis weit ins lokale Umland hinein reicht.

In diesem eh schon engen Areal war die Bewegungsfreiheit Brims und seines Kameramanns Simon Baucks noch zusätzlich limitiert, da sie sich nur in einem kleinen Bereich aufhalten durften. Durch die Verwendung von Teleobjektiven gelang es ihnen, verblüffend viele unterschiedliche visuelle Tableaus aus dem vorgefunden Ensemble heraus zu extrahieren. Und schnell wird klar, es geht hier nicht um die Dokumentation eines lokalen, spezifischen Hafenareals, sondern um die Beobachtung eines weltumspannenden Netzes der Zirkulation von Waren. Es ist ein System, das einst den Menschen als Ausgangspunkt und Zentrum hatte, sich aber nach und nach verselbstständigt hat und seinen eigenen inhärenten Gesetzmäßigkeiten und logischen Regeln folgt. Der Mensch ist dabei eine nur noch beobachtende, dienende Randfigur und dementsprechend treten die menschlichen Protagonisten in Brims Film auch auf: eingepfercht in gewaltige Führerhäuser, wo sie zwei, drei Hebel betätigen oder außerhalb stehend, lethargisch darauf wartend, dass die Maschinen ihr Werk vollbracht haben und die allgegenwärtige Produktionslogik sie von A nach B transferiert. Brim zeigt den Menschen apathisch in einem System, das er selbst erschaffen hat, das sich ihm aber längst entzieht und ihn übersteigt.

Gleichzeitig ist “Monoscape” aber auch eine Feier der Eleganz der Maschinen und der industriellen Abläufe, ihrer unbeirrbaren und gleichzeitig rätselhaften Funktionalität und ihrer Anmutung zwischen Monumentalität und Zartheit. Der Film verschreibt sich diesen technischen Taktgebern derart, dass er seinen gesamten Rhythmus aus den Dreh-, Hebe- und Rollbewegungen der logistischen Apparate generiert. “Es soll eine Atmosphäre entstehen, die sich durch die Objekte und ihr Zusammenwirken ausbreitet”, schreibt der Filmemacher. Dass dies gelingt, liegt auch daran, dass Brim die logistischen Abläufe nicht rein in ihre unterschiedlichen Segmente aufteilt und analysiert, sondern die einzelnen Maschinen und ihre Funktionen auf ihr performatives Potenzial hin untersucht. Jede Einstellung ist wie eine Bühne, auf der sich exakt choreografierte Handlungen vollziehen. Fast scheint es, als seien sie nicht dokumentarisch beobachtet, sondern für die Beobachtung inszeniert.

Der Film dekontextualisiert die technischen Abläufe: wir verstehen nicht, was wozu wohin bewegt, gehoben und geschoben wird. Brim schaut auf die sichtbaren Strukturen, auf die Flächen und Kanten der riesigen Skulptur und befragt sie nach ihrem ästhetischen und narrativen Potenzial. Das schiere Ausmaß der einzelnen Maschinen übersteigt oft das Bildfeld: der gesamte Bildinhalt gerät in Bewegung, es gibt keine Orientierung, keinen Halt, kein Außen und auch wir Betrachter gehen verloren in dieser gewaltigen Choreografie technischer Abläufe.

In der Montage seiner Tableaus konzentriert sich Brim nicht allein auf visuelle Analogien, sondern arbeitet auch mit Gegensätzen. Er fächert die Komplexität und Vielgestaltigkeit der visuellen Ausformungen auf und kreiert eine ganze Bandbreite teils gegensätzlicher Anmutungen: Synchrone und gegenläufige Bewegungen, Wucht und Fragilität, Geschwindigkeit und Stillstand, Gravität und Schwerlosigkeit.

Von einem unbedeutenden Punkt im Kölner Hafen schaut Brim auf die Manifestationen, Organisationsstrukturen und Wirkungszusammenhänge eines allgegenwärtigen weltumspannenden Systems zum Transport von Waren. Ein extrem verästeltes, ausdifferenziertes Netzwerk, das die kleinsten Winkel der Welt zumindest potentiell miteinander verbindet und synchronisiert. Es entsteht das Bild eines logistischen Gewebes, das über Knotenpunkte und Leitungen kommuniziert und erstaunliche Ähnlichkeit zu Modellen neuronaler Strukturen aufweist.  Die rhythmisch ausgefeilte Montage erzeugt einen ganz eigenen Sog, der uns immer weiter in dieses technische Gewebe hineintauchen lässt. Und im Nachvollziehen der Rhythmen, der fließenden und ruckartigen Bewegungen, des kontinuierlichen Blinkens der Warnlichter, der Pendelbewegung der Greifarme, des Zitterns der Befestigungsstränge, des Drehens der Kranhäuser und langsamen Rollens der Containerbrücken wird spürbar, dass die entstehenden Stimmungen, Metren und Atmosphären nicht allein Äußeres referenzieren, sondern auch eine Korrespondenz und Entsprechung haben zu Zuständen des Inneren.

Daniel Burkhardt

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